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Wir staunen, weil …





        Wir staunen, weil uns etwas Wun-
        derbares begegnet, etwas (noch)
        Unerklärliches zu Ohren gekom-
        men oder vor Augen aufgetaucht
        ist, meistens überraschend.
        Theoretiker des Staunens unter-
        scheiden vier Erlebnisweisen des
        Staunens:


          Zweifelndes sich Wundern und
        neugieriges Erstaunen, so, wie ich
        über den schwebenden Magier am
        Marktplatz gestaunt habe.


          Das Bestaunen einer außerge-
        wöhnlichen Leistung: Schon mal
        von Ultraläufern gehört? Sie laufen
        sechs Tage oder 10 000 Meilen un-
        unterbrochen.

           Ekstatisches  Außer-sich-Sein:   musternden Blick, seine Barthaare
        Ich verliere die Kontrolle, springe   und Schnauze, sein schwarzglattes
        auf, renne herum und stoße ein-     Fell, seine Miniaugen. Mein ganzes
        fach begeisterte Laute aus.         Wesen staunte. Da musste wohl
        In La Jolla, an der Südküste Ka-    ein vergessener Kindheitstraum in
        liforniens, überraschte mich ein    Erfüllung gegangen sein. (Und das
        merkwürdiger Geruch in der Nase,    alles bei Sonnenuntergang.)
        als wir mitten im Ort aus dem Auto
        gestiegen waren, um am Strand           Kontemplatives Schauen des
        spazieren zu gehen. Dann hörte ich   Göttlichen: Wenn ich mir die Ge-
        sonderbare Laute. Und was sah ich   genwart Gottes bewusst mache,
        dann, dort unten am und im Was-     mir Zeit dafür lasse, das Außen zu-
        ser: Seehunde, und nicht nur einen   rücktritt, ich mich im Herzen dem
        oder zwei! Viele! Live kannte ich sie   liebenden Gott zuwende und mich
        nur aus dem Zoo meiner Kindheit.    dann nach einiger Zeit wieder für
        Sofort sprang ich hinunter zum      die  Welt um mich öffne, erfasst
        Strand, achtete  kaum  auf  Stufen   mich  manchmal  eine  Klarheit  in
        und Steine, ließ irgendwo mei-      der Wahrnehmung, die einen gött-
        ne Schuhe und Strümpfe liegen.      lichen Glanz auf die alltäglichen
        Welche Laute ich unterwegs ausge-   Dinge legt.
        stoßen hatte, davon sprechen wir    Das lässt mich staunen!
        jetzt lieber nicht. Und dann knie-
        te  ich,  Auge  in  Auge,  vor  einem
        stolzen Seehund, bestaunte seinen




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