Page 21 - Gehaltvoll 8.1
P. 21
Ich fasse einmal in meinen
Worten zusammen:
Die innere Richtung des Staunens Sehen manche das Staunen als
ist nicht eine Entwurzelung durch „Irrewerden des Denkens an sich
den Zweifel, sondern eine größere selber“ und damit als Beginn des
Einwurzelung im Sinn für das Ge- Zweifelns, meint Pieper dagegen:
heimnis. „… gewiss verlieren für den Er-
Wie stelle ich mir das vor? Entwur- staunenden die vorletzten Selbst-
zelung oder Einwurzelung? verständlichkeiten ihre bis da-
hin unangezweifelte Geltung; es
Zunächst, ich fühle mich sicher im kommt ans Licht, dass diese Selbst-
Leben, gehalten, orientiert, bin der verständlichkeiten nicht endgültig
Meinung, das Wesentliche, worauf sind. Aber der Sinn dessen, der
es im Leben ankommt, einigerma- Sinn des Staunens ist doch die Er-
ßen zu kennen, ausreichend in un- fahrung, dass die Welt tiefer, groß-
sere Kultur sozialisiert zu sein. Ein räumiger, geheimnisreicher ist, als
paar (bescheidene) Lebenskrisen es dem Alltagsverstand erscheint.“
wurden im Laufe der Jahre bewäl- (Pieper 1947, 2011, S. 66)
tigt. Ich bin verwurzelt. Ich stehe
im Leben. „Der Staunende weiß nicht nur
nicht, er wird dessen inne, dass er
Und dann kommt plötzlich die nicht weiß; er versteht sich darin,
Sache mit dem Staunen. Ich stau- nicht zu wissen. Dennoch ist dies
ne, was ich alles nicht weiß, nicht nicht das Nichtwissen der Resig-
nur an geschichtlichen Fakten oder nation. Sondern der Staunende ist
wissenschaftlichen Erkenntnis- einer, der sich auf den Weg begibt:
sen, sondern auch an alltäglichen … Die Freude des Staunenden
Notwendigkeiten. Vielleicht weiß ist die Freude eines Beginnenden,
ich nur ein Promille des Mögli- eines auf immer noch Neues, Un-
chen oder ein Prozent des Nötigen, erhörtes gefassten und gespannten
wahrscheinlich weniger. Geistes.“
(Pieper 1947, 2011, S.67f)
Plagen mich jetzt Selbstzweifel?
Ängste? Schmeißt mich das aus der
Bahn, entwurzelt mich?
Foto: josef-pieper-arbeitsstelle.de
21